ISULA

Isula

Januar 2023
Isula ist korsisch - zu deutsch Insel - und dem lateinischen Begriff insula entlehnt. Laut Duden bedeutet es „in Sole sein“: im (Salz)meer gelegen. Im antiken Rom bezeichnete insula eine Art des Wohnens: einen isolierten Häuserblock. Das Wort isolieren kommt nicht von ungefähr (französisch isoler, italienisch isolare) und bedeutet – solo sein, von allem abtrennen, sich zu einer Insel machen.

Insel als Sicherheit

Die Insel ist ein Sehnsuchtsort. Wer von uns hat das nicht schon mal gesagt oder gedacht: Ich bin reif für die Insel. Spätestens wenn uns alles über den Kopf wächst. Auf einem Eiland habe ich meine Ruhe, dort fühle ich mich sicher, dort kann ich alles hinter mir lassen, mich verstecken und Energie tanken. Und vor allem: Dort scheint immer die Sonne. Das motiviert zum Kofferpacken und Ausprobieren. 
Isula Blog Beitrag

Insel als Heimat

Auch ich war verleitet von dieser romantischen Vorstellung. Für mich war die Insel als solche immer schon ein Symbol für Freiheit durch Rückzug. So habe ich mir meine Inseln im Alltag der Großstadt kreiert. Alles eben, was mich beruhigt, mir gut tut, und mich aktiviert. Ich nannte das Ruminseln. 
Nach einigen Lehrjahren und vielen Reisen, habe ich auf Korsika meine innere und neue Heimat gefunden. Und ich stellte fest, dass es stimmt. Das Leben auf einer Insel bringt Ruhe in meinen Geist, lässt mich in eine ursprüngliche Kraft kommen, weckt meine natürliche Intuition. Korsika bringt mich aber auch an meine Grenzen und darüber hinaus. Nirgendwo habe ich so viel über mich selbst erfahren, wie hier. Hier kann ich so sein, wie ich bin. 
Und ich stellte noch etwas fest: In allen Großstädten habe ich mich einsamer gefühlt als auf Korsika. 

Insel als Zeitkapsel

„Was kümmert mich der Schiffbruch der Welt, ich weiß von nichts, als meiner seligen Insel, “ spricht Hölderlins Eremit Hyperion. Korsika eignet sich bestens dazu sich komplett abzuschotten und den Kopf in den Sand zu stecken. Das gesellschaftliche Leben auf einer Insel ist überschaubar. Alles in Miniaturformat. Die Städte und Dörfer, die Märkte und Plätze, die Flughäfen und Bahnhöfe. Die Zeit scheint still zu stehen. Zumindest in den entlegenen Bergdörfern mit seinen verstaubten Kirchen, in den Wäldern mit seinen verlassenen Steinhäusern, und vor allen in den Wintermonaten. 
Nicht selten werde ich gefragt: „Und wie viele Winter bist du schon auf der Insel?“. Wenn du erstmal längere Zeit auf einer Insel bist, dann ändert sich der romantische Blick. Denn wenn die Ruhe unerträglich wird, die innere Stimme zu laut, sich Wiederholungen in Endlosschleife abspielen, dann droht ein Inselkoller. Für die Einheimischen ist es ein Segen, wenn die Möchtegern-Insulaner nach der Testphase wieder flüchten. Willkommen waren sie trotzdem.
Die meisten Urlauber haken die Insel ab unter hab ich gesehen, bin ich gewesen oder zu eintönig, zu unfreundlich. Und die Anderen fühlen sich magisch angezogen und gehen in die Tiefe (oder in alpine Höhen), und setzen sich dem inneren aufsteigenden Unbehagen und Fragen aus… Oder wie Hyperions Geliebte Diotima weise antwortet: „Es gibt eine Zeit der Liebe, wie es eine Zeit gibt, in der glücklichen Wiege zu leben. Aber das Leben selber treibt uns heraus.“

Insel als Herausforderung

Korsika bringt dich in Bewegung. Die Insel ist wild, rau und schwer zugänglich; nicht so sauber und ordentlich wie unsere gut gepflegten Landschaften in den Alpen. Es gibt keine geraden Linien, keine geraden Straßen, keine einheitliche Struktur. In dieser unübersichtlichen fremden Umgebung kommen die ersten ins Wanken, verlieren den Boden unter ihren Füßen, weil sie sich nicht mehr in ihrer vertrauten Sicherheit wahren.
„Erst wenn wir uns verirren, fangen wir an, uns selbst zu verstehen.“ (H. D. Thoreau) Das üppige Buschland, korsisch Macchia, hat seine eigenen Gesetze. Manchmal siehst du die Insel vor lauter Dickicht nicht mehr. Du musst beobachten lernen, um zu verstehen. Dich langsam bewegen, um es zu durchdringen. Deinen Weg finden, um zu bleiben. Und das beunruhigende Gefühl aushalten, dass du nicht weißt, wie es weitergeht.
Im Übrigen: Auf Korsika scheint nicht immer die Sonne. Das Mittelmeer ist bekannt für seine unberechenbaren Stürme und rasanten Wetterwechsel. Yoga am Strand in einer Gelassenheit zu praktizieren, während ein starker Wind weht und die Wellen peitschen, kann dann zur Herausforderung werden. 

Insel als Begegnung

Korsika ist eine wahre Schatzinsel. Doch ein Schatz wäre kein Schatz, wenn wir nicht danach suchen müssten. Hin und wieder die Perspektive oder Richtung zu ändern, reicht da schon. Wir finden sie in der Natur, der Kultur und in zahlreichen Begegnungen.
Der unvergleichbare Duft der Macchia, die heilsame Wirkung von Kräutern, der intensive Geschmack sonnengereifter Früchte, um nur einige zu nennen. Das einfache Leben auf Korsika lehrt dich, sich am Kreislauf der Natur zu orientieren und dankbar mit diesem Reichtum umzugehen. Einige eingeweihte Korsinnen praktizieren eine tiefverankerte Spiritualität, einen Naturglauben, der einen speziellen Zugang zur Pflanzen- und Tierwelt ermöglicht.
Viele Schätze liegen noch im Verborgenen, können nicht oder nur unzureichend ergoogelt werden, weil es noch nicht erforscht, nicht formuliert, nicht veröffentlicht wurde. Vor allem für das deutschsprachige Publikum mangelt es an touristischen Vermittlungsangeboten und so stehen wir oft vor wahren Kostbarkeiten, ohne es zu wissen.
So sind Begegnungen umso wertvoller: Vieles erfährt der Gast nur durch Begegnung, durch Erzählung, durch Kommunikation. Kulturell gesehen hat Korsika eine bewegende Geschichte, die sich bis heute im Charakter der Kors*innen abzeichnen lässt und noch aufgearbeitet werden will. Kors*innen sind verschlossen und geheimnisvoll, stolz und skeptisch, gutmütig und gastfreundlich. Wenn der Gast freundlich ist. 
Spannend ist zum Beispiel die pastorale Vergangenheit von der noch viele Steinhütten zeugen. Landwirte und Hirten gibt es auch heute noch, und einige sprechen sehr gern bei einem hausgemachten Limoncello über ihre Traditionen und Lebensweise wie die Wanderweidewirtschaft Transhumanz.
Inspirierende Begegnungen finden auch mit anderen „Gestrandeten“ statt, mit Gleichgesinnten, die mit der Insel verwachsen sind oder versuchen Wurzeln zu schlagen. Und schließlich ist da noch die Begegnung mit sich selbst…