Gekommen um zu bleiben
Juni 2021
Oder: Korsika im WInterschlaf
Herbst 2020. „oohh-oohh-oo-ooooohhhh“ Von den Rufen der Jäger werde ich wach. Ich öffne die Augenlider und blicke in saftiges Grün. Steineichen, Lariciokiefern, eine Kamelie und eine Mimose stehen direkt vor meinem Fenster. Bereits in der Dämmerung beginnt die Wildschweinjagd. Die Jäger tragen orangene Westen und Mützen. Ich erkenne die Signalfarben oben am Hang, versteckt in der Macchia. Es ist Samstag. Müde von den ersten Wochen an der Uni, dem französischen Fachvokabular und der korsischen Bürokratie drehe ich mich nochmal um und schlafe weiter. Zwei Wochen später finde ich mich schlaflos in Kinosälen und Soirées als Jurymitglied auf dem internationalen Dokumentarfilmfestival in Ajaccio wieder. Ich nehme syrische und libanesische Regisseure mit auf einen spontanen Trip an die Westküste. Wir parkieren auf einer Anhöhe bei Piana und picknicken mit Käse, Feigen und Trauben. Die Wolkendecke schiebt sich über dem Meer dramatisch zusammen. Die Filmemacher sind begeistert und melancholisch zugleich: Korsika erinnert sie an ihre Heimat, dieselbe Vegetation, dieselben Farben, dieselbe Architektur. Das Mittelmeer verbindet Menschen und Kulturen auf überraschende Weise.
Winter 2020. Der Korse isst Figatelli, Kastanien-Polenta und Wildschweingulasch. Doch dieses Jahr ist ein Weihnachten ohne Weihnachtsmarkt und Eislaufbahn … covid-bedingt. Ungewohnt für die korsische Bevölkerung, da sich das Leben selbst im Winter draußen abspielt und sich die gesamte Familie auf dem Marktplatz oder vor der Kirche trifft, um zu singen und das Jahr gemeinsam zu beenden. Die Prozession am 8. Dezember für die Schutzpatronin der Insel und die traditionellen Feuer am Heiligabend vor den Kirchen der Balagne finden trotzdem statt. Traditionen, die verbinden und Gemeinschaft stiften. Die Korsen nehmen sich, Covid zum Trotz und soweit es ihnen möglich ist, ihre Freiheiten heraus. In der Nachbarschaft lädt man sich gegenseitig zum Essen ein, beschenkt sich reichlich mit Gemüse und Obst wie Kürbis, Aubergine, Clementinen und Zitronen. Nach dem Jahreswechsel schwimme ich bei Aléria im kühlen Meer. Mit Blick in das schneebedeckte Rotondo-Massiv auf der einen Seite, und verspielten Delfinen auf der anderen. Die kommenden Wochen fällen wir Bäume und ich stehe zum ersten Mal an der Kettensäge und einer Holzspaltmaschine. Da die Seminare der Uni online gehalten werden, kann ich mich ganz nach dem Rhythmus der Natur richten. Ich stehe kurz vor Sonnenaufgang auf, um die Ziegen zu füttern, arbeite tagsüber auf dem Hof oder für die Uni und sitze mit Einbruch der Dunkelheit vor dem knisternden Kamin.
Frühling 2021: Die Mimose ist mittlerweile knallgelb, an ihren dicken Pollen laben sich die Bienen und summen den ganzen Tag ein Ständchen. Die Kamelie trägt üppige himbeerfarbene Blüten. Der Pfau präsentiert sein prächtiges Rad mit türkisblauen Augen und tanzt um die, sichtlich unbeeindruckte, Pfauendame herum. Sein Ruf hallt kilometerweit den Bergkessel empor. Der Frühling ist da und begrüßt alle Sinne. Ich wandere drei Tage der Küste entlang von St. Florent zum Strand von Ostriconi durch dichte Zistrosenbüsche, die in weißer und pinker Blüte stehen. Kühe und Kälber spielen an einsamen Stränden. Zurück auf dem Ziegenhof fängt nun das Melken an: Vormittags machen wir Käse und am Abend feinen Brocciu-Frischkäse aus der Molke. Wir sitzen um den großen Topf, rühren lang und kräftig wie einst Panoramix, den Holzlöffel in der einen und ein Gläschen Weißwein in der anderen Hand. Wir haben alles, was wir brauchen. Selbst als Stadtmensch fehlt mir nix auf der Insel. Seit einem Jahr lebe ich hier und kann sagen, dass Korsika zu meiner neuen Heimat geworden ist. Langeweile im Winter? Keine Spur! Die ruhigen, entschleunigten Momente in der Natur haben eine inspirierende und heilende Wirkung. Gleich ob stundenlange Spaziergänge durch das Dickicht der Castagniccia, an einsamen Stränden, oder die minutiöse Beobachtung der Tier- und Pflanzenwelt, wie sie sich im Laufe der Saison, im Kreislauf der Zeit, verändert.
Juni 2021: Die Ruhe des korsischen Winters schwindet allmählich, durch Covid etwas verspätet, mit Eintreffen der ersten Touristen und Touristinnen. Korsika erwacht aus seinem jährlichen Dornröschenschlaf und wird viele Gäste reich beschenken: mit sinnlichen Erfahrungen, einer ursprünglichen Natur und herzlichen Begegnungen. Es werden Menschen aus der ganzen Welt kommen, die ihr Herz an Korsika verlieren und dafür eine neue Heimat finden.
Winter 2020. Der Korse isst Figatelli, Kastanien-Polenta und Wildschweingulasch. Doch dieses Jahr ist ein Weihnachten ohne Weihnachtsmarkt und Eislaufbahn … covid-bedingt. Ungewohnt für die korsische Bevölkerung, da sich das Leben selbst im Winter draußen abspielt und sich die gesamte Familie auf dem Marktplatz oder vor der Kirche trifft, um zu singen und das Jahr gemeinsam zu beenden. Die Prozession am 8. Dezember für die Schutzpatronin der Insel und die traditionellen Feuer am Heiligabend vor den Kirchen der Balagne finden trotzdem statt. Traditionen, die verbinden und Gemeinschaft stiften. Die Korsen nehmen sich, Covid zum Trotz und soweit es ihnen möglich ist, ihre Freiheiten heraus. In der Nachbarschaft lädt man sich gegenseitig zum Essen ein, beschenkt sich reichlich mit Gemüse und Obst wie Kürbis, Aubergine, Clementinen und Zitronen. Nach dem Jahreswechsel schwimme ich bei Aléria im kühlen Meer. Mit Blick in das schneebedeckte Rotondo-Massiv auf der einen Seite, und verspielten Delfinen auf der anderen. Die kommenden Wochen fällen wir Bäume und ich stehe zum ersten Mal an der Kettensäge und einer Holzspaltmaschine. Da die Seminare der Uni online gehalten werden, kann ich mich ganz nach dem Rhythmus der Natur richten. Ich stehe kurz vor Sonnenaufgang auf, um die Ziegen zu füttern, arbeite tagsüber auf dem Hof oder für die Uni und sitze mit Einbruch der Dunkelheit vor dem knisternden Kamin.
Frühling 2021: Die Mimose ist mittlerweile knallgelb, an ihren dicken Pollen laben sich die Bienen und summen den ganzen Tag ein Ständchen. Die Kamelie trägt üppige himbeerfarbene Blüten. Der Pfau präsentiert sein prächtiges Rad mit türkisblauen Augen und tanzt um die, sichtlich unbeeindruckte, Pfauendame herum. Sein Ruf hallt kilometerweit den Bergkessel empor. Der Frühling ist da und begrüßt alle Sinne. Ich wandere drei Tage der Küste entlang von St. Florent zum Strand von Ostriconi durch dichte Zistrosenbüsche, die in weißer und pinker Blüte stehen. Kühe und Kälber spielen an einsamen Stränden. Zurück auf dem Ziegenhof fängt nun das Melken an: Vormittags machen wir Käse und am Abend feinen Brocciu-Frischkäse aus der Molke. Wir sitzen um den großen Topf, rühren lang und kräftig wie einst Panoramix, den Holzlöffel in der einen und ein Gläschen Weißwein in der anderen Hand. Wir haben alles, was wir brauchen. Selbst als Stadtmensch fehlt mir nix auf der Insel. Seit einem Jahr lebe ich hier und kann sagen, dass Korsika zu meiner neuen Heimat geworden ist. Langeweile im Winter? Keine Spur! Die ruhigen, entschleunigten Momente in der Natur haben eine inspirierende und heilende Wirkung. Gleich ob stundenlange Spaziergänge durch das Dickicht der Castagniccia, an einsamen Stränden, oder die minutiöse Beobachtung der Tier- und Pflanzenwelt, wie sie sich im Laufe der Saison, im Kreislauf der Zeit, verändert.
Juni 2021: Die Ruhe des korsischen Winters schwindet allmählich, durch Covid etwas verspätet, mit Eintreffen der ersten Touristen und Touristinnen. Korsika erwacht aus seinem jährlichen Dornröschenschlaf und wird viele Gäste reich beschenken: mit sinnlichen Erfahrungen, einer ursprünglichen Natur und herzlichen Begegnungen. Es werden Menschen aus der ganzen Welt kommen, die ihr Herz an Korsika verlieren und dafür eine neue Heimat finden.